Friedrichshafen / sz - Mühelos hat der Vorarlberger Autor Arno Geiger am Freitagabend den Kiesel gefüllt. Seit seinem Erfolgsroman "Der König in seinem Exil", in dem er auf berührende Weise das Schicksal seines an Demenz erkrankten Vaters thematisiert hat, ist er zum Star der Literaturszene geworden. Im Kiesel las er aus dem im Februar erschienenen achten Roman "Selbstportrait mit Flusspferd". Geiger schildert darin einen Sommer im Leben eines 22-Jährigen, der sich gerade von seiner Freundin getrennt hat.
Bevor der Autor zu lesen beginnt, erzählt er mit spröder Stimme, an die man sich erst gewöhnen muss, wie er über einen inzwischen verstorbenen Freund an die Geschichte gekommen ist. Vor allem reflektiert er über die Situation der heutigen jungen Menschen, die knapp über zwanzig offiziell erwachsen sind, aber noch völlig offen, oft völlig orientierungslos. Geiger versucht sich in diese Menschen hineinzudenken.
Er verweist darauf, dass zu Goethes Zeit die 20-Jährigen die Literatur dominiert hätten, der Name Werther fällt. Und er spricht von der Schwierigkeit, den genau richtigen Ton zu treffen, dass ein stimmiges Bild entsteht.
Er schreibt bewusst aus zeitlichem Abstand, um das Wissen einzubringen, das er für unbedingt notwendig hält. Man lernt in diesen Reflexionen den studierten Literaturwissenschaftler kennen, der gelobt wurde für seine Fähigkeit, feine seelische Regungen in Worte fassen zu können, die banalen Alltagsgeschichten ästhetische Dichte verleihen.
Beschreibung von Alltag
Der Roman und die Lesung beginnen damit, dass Ex-Freundin Judith mit einem verletzten Uhu, den sie auf der Straße fand, die Praxis des Tierarztes Julian betritt. Wie soll er sie begrüßen, reflektiert er: mit Küsschen links und rechts, mit einem Kuss auf den Mund, mit einem Händedruck? Was mag sie inzwischen erlebt haben? Julian erinnert sich an die Zeit vor zehn Jahren, als der 22-jährige Veterinärstudent sich von Judith trennte.
Arno Geigers Gedanken sind witzig, immer wieder gluckst es in den Reihen der überwiegend weiblichen Zuhörer, die sich amüsieren, wie ein Mann leidet. Es sind kleine alltägliche Dinge. Aber auch Julians Erkenntnis, dass sie schon so viel weiter war, reifer, dass sie wusste, was sie wollte. Damit konnte er nicht mithalten.
Raum für Komik ergibt sich beim Aufteilen der DVD-Sammlung. Sie wählt Dinge aus, die sie eigentlich gar nicht liebte, die ihm aber besonders wichtig waren. Weil er in der von ihrem Vater bezahlten Wohnung lebte, musste er jetzt seinen Teil der Miete rückwirkend zahlen.
Kein Blick zum Publikum
Das führte zu einem Ferienjob, zur Betreuung eines Zwergflusspferdes. Davon handelte der dritte Abschnitt der Lesung. Ein bisschen Prickeln, ob er sich erneut verliebt, dazu das Suchen nach seinen Ähnlichkeiten mit dem betreuten Tier.
Gespannt verfolgt man jedes Wort, das Arno Geiger liest und goutiert seine Sprache. Während der Lesung schenkt er dem Publikum keinen Blick, sein Kopf dagegen ist ständig in Bewegung, wie ein Künstler, der aus einem Block ein Werk herausarbeitet. Man glaubt fast bei der Entstehung dabei sein zu dürfen.